Gott ist als Baby geboren!

Veröffentlicht auf von P. Roger Robert

Heute Nachmittag, als ich mich auf den Heiligen Abend vorbereitete, kamen mir zwei Sätze in den Sinn:

Der erste passt anscheinend nicht zu Weihnachten. Es ist ein Tag, an dem Jesus im Innenhof des Tempels in Jerusalem spricht. Man schickt Soldaten, um ihn zu stoppen. Die Menschen stehen dicht gedrängt um ihn herum, und die Soldaten sind gezwungen, sich einen Weg zu bahnen. Aber als sie sich auf den Weg machen, hören sie ihn, sie hören ihm zu, und als sie zurückkommen, um den Schriftgelehrten Bericht zu erstatten, fragen sie: "Habt ihr ihn nicht mitgebracht?", antworten diese Männer: "Niemals hat ein Mensch je so geredet wie dieser Mann."

Niemals hat ein Mensch so gesprochen wie dieser Mann. Ich habe große Bewunderung für den Einen, der wusste, wie er zu uns über Gott sprechen kann, so sehr, dass Johannes, wenn er sein Evangelium schreibt, sagen wird: "Er ist das Wort." Gott spricht. Um zu sprechen, muss man einen Impuls in sich haben. Gott spricht ... und wie spricht er? Wie ein menschliches Wesen, anscheinend. Aber wie kann er noch sprechen? Er spricht, er drückt sich immer aus, durch sein ganzes Leben. In der Tat wissen wir nichts über Gott, außer dass er, Jesus, es in seinen Gesten, in seinen Worten gezeigt hat. Er hat es gezeigt. Aber nicht nur als Erwachsener ist er der Ausdruck Gottes. Und es ist das Wunder der Gelehrtheit der Kirche, die uns sagt: "Weil dieser Mann am Kreuz gestorben ist, musste er erst geboren sein". Gott spricht durch sein ganzes Verhalten:

Als er nur ein sehr kleiner Embryo war, als er ein Fötus war, als er geboren ist, als er ein kleiner Junge war, ein junger Teenager, ein Mann und dann ein Arbeiter. Eines Tages begann er mit unseren Worten zu sprechen. Aber davor war er stumm? Nein, alles spricht von Ihm. Wenn man keine Worte hat, kein Wissen über Gott, hat man IHN. Alles, was wir über Gott wissen, ist durch Ihn, vom Moment der Empfängnis bis nach seinem Tod, seiner Auferstehung und dem Gabe seiner Seele an seine Jünger, damit sie Ihn endlich von innen kennenlernen können. Er spricht durch sein ganzes Leben.

An diesem Weihnachtsabend gibt es etwas, das sowohl liebenswert als auch überraschend ist. Gott: ein kleines Baby! Ich höre noch den Pfarrer von Nazareth sagen: "Ich bin nicht als Jude oder Araber geboren, sondern als Baby geboren." Menschen, die alle möglichen Vorstellungen von Gott haben, die in einer Form von Ideen geformt wurden, haben es schwer, von Vorstellungen über das Göttliche zu diesem Blick auf dieses Baby überzugehen. Gott: ein Baby. Er spricht durch sein ganzes Leben, durch alles, was er ist.

Jeder hört so, wie er hören kann. Jeder sieht so, wie er sehen kann. Ich mag Dinge wissen, aber Wissen macht mich nicht unbedingt lebendig. Was mich leben lässt, ist eine Intensität der Seele, die zu einem Licht der Seele wird. Und diese Intensität der Seele, die Gott uns mitteilt, manifestierte sich durch ein kleines Baby, das von seiner Mutter gewickelt und in eine Futterkrippe gelegt ist.

Gott: ein Baby! Jesus würde später sagen, und das ist der Schlüssel: "Wer mich sieht, sieht den Vater." Gott ist Baby. Der Vater ist nicht älter als der Sohn. Gott ist als Baby geboren. Ein Baby, das seine Seele zum Ausdruck bringen wird, diese Freude wegen der Zärtlichkeit, die man ihm entgegen bringt. Er wird lernen: die glücklichen Empfindungen, die ihn zum Lächeln bringen und auch den Schmerz, wenn sein Bauch schmerzt. Gott: ein Baby! Gott, der von uns lernt, Gott, der von uns die gleiche Menschlichkeit erhält, um zu sagen, wer er ist. Dieses kleine Baby sagt alles über Gott. Wir würden gerne ein paar mehr durchdachte Vorstellungen, eine Art von Wissen haben. Gott ist ein Baby. Schauen wir uns das Kind an.

Die zweite Sache ist, dass ich nie bei den Hirten, die laufen, hätte sein können. Es ist jetzt ziemlich schwierig für mich zu laufen. Es ist schon schwer genug für mich zu gehen, dann auch noch zu laufen? "Lasst uns nach Bethlehem laufen und sehen, wie sich dieses Wort erfüllt..." Ich kann nicht nach draußen laufen, aber ich laufe hinein, "und sie fanden Maria und Josef und das Neugeborene in der Futterkrippe liegen." Und von Maria heißt es, dass sie zuhörte. Sie erwog alles, was über ihr Kind gesagt wurde, in sich: "Wer ist es? Wie wird es sein?", denn ein Kind, das geboren wird, ist zunächst einmal ein Fremder für seine Eltern, und deshalb muss der Fremde, der das Kind ist, dieses Baby, willkommen geheißen werden. Ein Fremder, jemand, der nicht so ist wie ich.

Gott ist ein Fremder und wir haben diesen fremden Fremden willkommen zu heißen, der schwer willkommen zu heißen ist, weil er alle unsere Vorstellungen von Gott zu Boden wirft. Das Baby lässt alles zu. Maria kleidet ihn an und legt ihn in die Futterkrippe.

Heute Nachmittag sagte ich zu mir selbst: "Was liebe ich am meisten auf der Welt? Was ist es, das mich am Leben erhält?" Es ist Bewunderung. Wenn ich nicht bewundern könnte, würde ich sterben. Es ist die Bewunderung vor Gott, die sich in einer Verletzlichkeit, Hilflosigkeit zeigt, aber das sind schon große Worte... Gott, der spricht, ohne etwas zu sagen. Gott, der da ist, der leidet, der nur auf einen Blick wartet. Er wartet nur darauf, dass wir ihm Aufmerksamkeit schenken, und er ist es auch, der diese Impulse oder diese Betrachtungen in uns setzt. Er ist es.

Kann ich Gott durch mich selbst erkennen? Nein. Aber da ist dieses Kleine, ein Baby, das das Wort Gottes ist. Er ist das, was Gott über ihn sagen kann. Jetzt wird er für unseren Blick geschenkt. Er ist an diese Offenheit des Herzens geschenkt. Es gibt nichts zu tun, außer vielleicht, was die Soldaten erlebt haben, als sie ihm zuhörten. Sie wurden ergriffen, diese Männer der Macht und des Gesetzes. Sie waren so ergriffen, dass sie ihn nicht mehr ergreifen konnten. Mit leuchtenden Gesichtern kamen sie zurück und sagten zu ihrem Vorgesetzten: "So hat noch nie ein Mensch gesprochen". Nie hat Gott gesprochen, nie hat er sich durch die Hilflosigkeit eines Babys ausgedrückt: "Ich bin es".

Man muss unseren Blick seinen Weg gehen lassen. Das ist alles und das ist es, worum ich Sie heute Abend bitte. Ich bitte um den Blick, den Maria und Josef hatten. Der heilige Lukas erzählt uns: "Maria hörte alles, was über dieses Kind gesagt wurde, und sie ließ alles, was zu ihr gesagt wurde, in ihrem Herzen wirken". Durch dieses Wirken erlaube ich dem Anderen, in mir zu leben: Ich lasse es wirken,  ich lasse in mir seine Präsenz zum Vorschein kommen. Sie ließ diese Worte in sich wirken, um ihre Bedeutung zu vertiefen.

Dies ist das Geheimnis Gottes. Man muss einfach dieses kleine Baby wirken lassen, ohne es einnehmen zu wollen. "So hat noch niemals ein Mensch gesprochen."

 

Roger Robert, 24. Dezember 2017

 

 

Text ins Deutsche übersetzt von Michèle, Bernd Becker und Gabriele Socher-Schulz

"Réjouissez-vous", CD Tissage d'or 4 (Communauté de la Roche d'or)